Über Päonien
PFINGSTROSEN
Rose,
oh reiner Widerspruch,
Lust,
Niemandes Schlaf zu sein
unter soviel Lidern.
Rainer Maria Rilke war ganz besonders fasziniert von Rosen. Mit seiner Grabinschrift erinnert er daran, dass wir wirklich schauen, immer wieder schauen und nicht stehen bleiben beim oberflächlichen Betrachten. Was begeistert die Menschen aller Zeiten so besonders an Rosen? Sind es die vielen Blütenblätter, die oft so kunstvoll ineinandergelegt und angeordnet sind, ihre Farben, ihr unglaublicher Duft, ihre magische Pracht?
Rosen sind Inbegriff von Liebe, Schönheit und Glück. Wir erfreuen unsere Liebsten damit. So ist es nur natürlich, dass ihr Name nicht auf die Familie der Rosengewächse reduziert blieb. Im Winter, mitten im Schnee, erblühen Christrosen (Helleborus niger). Es gibt die Rose von Jericho (Anastatica hierochuntica), Sandrosen, bizarre Kristallgebilde in Rosenform, die aus Sand entstehen, sogar kristalline Eisenrosen und eben die Rosen ohne Dornen, die schon an Pfingsten blühen, die Pfingstrosen.
Mit ihnen verbindet mich eine ganz besondere Faszination. Während meinem zehnjährigen Japanaufenthalt verliebte ich mich in den Tempelgärten in die Strauchpäonien, in Pflanzen, die ich vorher nie gesehen hatte. Zur Geburt unserer Ältesten am Pfingstsonntag, beglückte uns Tazuko Niimura, meine Tuschmallehrerin, mit einem Päonienbild.
Botanische Zuordnung:
Pfingstrosen gehören zur Familie der Pfingstrosengewächse (Paeoniacea). Nach dem Stand heutiger Molekularbiologie enthält diese Gattung 33 Arten. (Hong De-Yuan, «Peonies of the World», 2011). Die Taxonomie hat sich seit der Einführung der DNA -Sequenzierung umfassend geändert, wodurch es viele neue Zuordnungen gab. So entstanden neue Arten und andererseits wurden auch bisherige Arten bereits bestehenden untergeordnet. Die Unterscheidungen sind extrem schwierig, auch weil jede Art, je nach Standort, variieren kann. Was die Namen betrifft, sind die Pflanzen in Sigriswil mit dem Namen unter dem sie gekauft wurden, angeschrieben.
Unter all den einzigartigen Päonien sind für mich die Arten, die Pfingstrosen wie sie in freier Natur wachsen, die wichtigsten. Teils kommen diese leider nur noch an wenigen Wildstandorten vor und müssen unbedingt erhalten werden. Sie sind auch für die Biodiversität, für Insekten und als Grundlage für neue Züchtungen wichtig. Für manche Arten ist es schwierig, eine Züchter, der sie verkauft, zu finden.
Staudenpfingstrosen, ausdauernde krautige Pflanzen, sind in der Schweiz weit verbreitet. Ihre oberirdischen Sprosse sterben im Spätherbst ab. Es gibt aber auch verholzende Arten und Sorten, die als Sträucher wachsen, und meistens «Baum- oder Strauchpäonien» genannt werden. Toichi Itoh, einem Züchter in Japan, ist es gelungen, Stauden und Sträucher zu kreuzen, und mit den Itoh-Hybriden schuf er eine neue Form, die Eigenschaften von beiden vereinigt.
Name:
Die Gattung «Paeonia» wurde 1753 von Carl von Linné erstmals beschrieben. Den Namen bekam die Pflanze wegen ihrer Heilkraft. Nach der griechischen Sage gelang es «Paion», dem Gott der Heilkunst, mit der Wurzel einer Pflanze den Pluton zu heilen. Pluton, der Gott der Totenwelt, war im Krieg durch Herakles schwer verwundet worden. Als Dank für die wundersame Heilung bekam die Pflanze den Namen des Gottes der Heilkunst «paionia» oder später Paeonia und wurde zum Inbegriff des Heilens. Ähnliches berichten auch römische Dichter: Vergil beschreibt im 7. Gesang der Aeneis, dass es der Göttin Artemis mit Hilfe einer Pfingstrose gelungen sei, Virbios, den Sohn von Theseus, der von Pferden seines Vaters getötet worden war, wieder zum Leben zu erwecken!
Als Heilpflanzen wurden Pfingstrosen seit dem Mittelalter in allen Klostergärten gepflanzt. Von Pflanzenexpeditionen anfangs des 20. Jahrhunderts auf dem Dach der Welt und anderen Orten Chinas und Tibets, vernehmen wir, dass auch dort Strauchpäonien ihrer Heilkraft wegen in den Klostergärten anzutreffen waren.
Herkunft der Arten bzw. Wildformen
Paeonien sind ursprünglich nur auf der nördlichen Halbkugel heimisch. Während staudige Arten auch in Amerika, Südeuropa (Spanien, Griechenland, Türkei, Balkan, ein Standort im Tessin) über Russland, Iran bis China und Japan… in freier Natur vorkommen, sind die Strauch- oder Baumpäonien in Ostasien (China, Tibet, Mongolei, Korea) beheimatet.
Im Folgenden eine Beschreibung, die mich immer wieder neu berührt. Es ist der Bericht von Reginald Farrer, der 1914 wohl als erster Europäer die langersehnte Päonie Rockii in der Natur, ausserhalb von Tempelgärten, erblickte. Interessant finde ich auch, dass es für ihn, den grossen Pflanzenkenner, aus Distanz beim ersten Anblick klar war, dass es in freier Natur niemals eine so grosse Blüte geben könne, was natürlich viel über diese Blume aussagt. Reginald Farrer (1880-1920) aus Ingleborough, Yorkshire, war ein passionierter Alpinen-Gärtner. Er schrieb das zweibändige Standardwerk, Der Englische Steingarten. Nach dem ersten Weltkrieg starb er auf einer Entdeckungsfahrt mit E. H. M. Cox an der Grenze zwischen Burma und China. Aus seinem Buch: Auf dem Dach der Welt über eine Expedition:
…«Ich setze mich schliesslich, um auszuruhen, schaute die steilen Pfade abwärts auf das kleine Dorf zu meinen Füssen, so gemütlich und hübsch in dem Pappelhain, bis mein Blick auf einigen weissen Gegenständen etwas entfernt in den Hügeln hängenblieb. Für Blumen eindeutig zu gross, aber es musste auf jeden Fall untersucht werden, was diese weissen Wollbüschel oder Papierknäuel hier im wilden Unterholz zu suchen hatten, die hier und da über dem kleinen Gewusel von Berberitzen und anderem thronten. Wahrscheinlich hatten sie irgendeine religiöse Bedeutung. Man würde sehen.
Ich watete durch die flachen, schäumenden Gewässer des Gehölzes, und bald nahm mir die zunehmende Aufregung den Atem, denn je näher ich meinem Ziel kam, desto sicherer wurde ich, dass vor mir eine wilde Moutan-Päonie wuchs. Das allein muss schon begeistern, aber alle Gedanken an eine botanische Entdeckung verblassen beim Anblick dieser erstaunlichen Blume, der überwältigendsten Pracht unter allen Sträuchern. Hier im Unterholz wuchs sie empor, schlank und aufrecht, mit zwei oder drei unverzweigten Trieben, an deren Spitzen jeweils eine dieser enormen Blüten schwebte. In kühner Eleganz gefaltet und gewellt, von absolutem reinem Weiss und mit fiedrig ausstrahlenden, tief rotbraunen Flecken am Grund der Petalen, gekrönt durch die goldene Quaste im Herzen der Blume. Diese schneeweissen Schönheiten schwebten über dem dichten Dornengestrüpp, und ihr Atem strich süss wie Rosenduft durch die Dämmerung. Lange Zeit verharrte ich in Ehrfurcht und kehrte schliesslich bei Sonnenuntergang voller Zufriedenheit zurück».
Über das Glück, den ganzen Jahreszymlus miterleben zu können:
Seit wir in der Schweiz an südlicher Hanglage des Thunersees wohnen, fanden über 200 verschiedene Stauden- und Strauchpäonien den Weg in unseren Garten. Jede ist einzigartig. Der wichtigste Schwerpunkt gilt den Arten oder Wildformen, wie sie R. Farrer beschreibt und wie sie ursprünglich in der Natur wachsen. Sie bewundern und pflegen zu dürfen, ist mir eine immense Freude und je nach Pflanze auch Herausforderung. Ohne die extremen Reisestrapazen durch unwegsame Gebiete und die Schwierigkeit, den Zeitpunkt zur Blüte zu treffen, darf ich sie in ihrem Wachsen und Werden vom ersten Knospenansatz bis zum ausgereiften Samenstand durch den Jahreszyklus bewundern und begleiten. Auch die Schönheit und Vielfalt von Zuchtformen sowohl von Stauden wie Sträuchern ist absolut unglaublich. Wir tauchen ein, in eine magische Welt des Staunens.…
Pfingstrosen sind keine Dauerblüher. Sie wachsen, blühen, und verwandeln sich schnell. Die ersten Wildformen öffnen ihre Knospen schon Mitte April. Bald folgen die Strauchpäonien und Mitte bis Ende Juni sind auch die späten Stauden verblüht. Wenn ich heute nicht da bin und schaue, ist morgen manches anders und vorbei. Nach kurzer Zeit lässt die faszinierendste Blüte ihre Blütenblätter fallen und mit dem Samenstand setzen die Päonien ihre unterschiedlichsten Krönchen auf, die nun bis in den späten Herbst Stauden und Sträucher zieren.
Ist es diese ständige Transformation, die kein Festhalten erlaubt, die Einladung und Herausforderung zum Leben im Jetzt, zum Erwachen, die auch Rilke so berührt hat? Mir scheint, dass der deutsche Namen nicht nur wegen der Blütezeit passt. Ist nicht Pfingsten das Fest, das uns genau dazu inspirieren möchte?
Päoniengarten in Sigriswil
Im Frühjahr 1996 zog unsere sechsköpfige Familie, damals mit kleinen Kindern, im Chalet Sunneschyn, in Sigriswil, Endorf ein. Mit dem Gestalten und Pflegen des Gartens, der zum Haus gehörte, entdeckte ich, Katharina, meine Freude am Gärtnern, und nach zehn Jahren in Japan und fünf Jahre in Bern, lehrten und halfen mir die Pflanzen, am neuen Ort Wurzeln zu schlagen. Eher zufällig hatte ich auch drei Strauchpäonien, bezeichnet mit Paeonia «Suffruticosa weiss», «Paeonia Suffruticosa rosa» und «Paeonia Suffruticosa rot», die ich in einem Gartencenter gefunden hatte, gepflanzt. Sie entwickelten sich prächtig und zusätzlich inspiriert vom Buch «Prachtvolle Päonien» von Michael Rivière, bestellte ich 1998, damals noch ohne Internet, mit Hilfe eines PPP-Index (Pflanzeneinkaufsführer für Europa) die ersten Strauchpäonien. Die Südlage über dem Thunersee schien auch den Päonien zu gefallen und wenn es möglich war, fanden über die Jahre jeweils zur Pflanzzeit im Herbst weitere Päonien den Weg in unseren Garten. Eine Monokultur von Pfingstrosen war nie das Ziel. Eine gute Durchmischung unterschiedlichster Pflanzen, die ja für meine Tuschmalerei gleichsam die Grundlage ist, war und bleibt mir wichtig. Zudem schätzten wir die Möglichkeit, auch reichlich Beeren und Gemüse für den Eigenbedarf der Familie pflanzen zu können. Die Jugendlichen flogen inzwischen aus, das grosse Trampolin vor dem Haus wurde nur noch selten genutzt und im Herbst 2014 konnte der Päoniengarten mit rund 50 zusätzlichen Päonien auf rund 160 Pflanzen erweitert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt gilt mein grösstes Interesse den Wildformen, (Arten) die natürlich nicht einfach zu finden sind. Da sie aus unterschiedlichen Klimazonen kommen, finden hier, auf 770 Metern über Meer, natürlich nicht alle Wildarten optimale Bedingungen. Nach dem Motto „Frisch gewagt ist halb gewonnen“, versuche ich das Beste und bin gespannt, wie sich die Neuankömmlinge akklimatisieren und entwickeln. Wie C. Burkhardt beschreibt, dauert es bei den meisten Päonien rund 4 Jahre, bis sie so richtig in Form kommen.
Wo die Namen ziemlich sicher sind, sind die Päonien in unserem Garten mit den lateinischen Namen beschildert. (Nach der Nomenklatur von «Paeonies of the World» von Hong De–Yuan und nach Dr. Carsten Burkhardt`s Web Project Paeonia www.paeo.de – ein unglaubliches Werk, das ich allen Päonienfreunden sehr empfehle.
Wildformen sind auf unseren Namensschildern mit Sternen bezeichnet. Wer sich dafür oder auch für die reiche Päonienliteratur interessiert, ist auch eingeladen, unsere diesbezügliche Bibliothek zu sehen.
Auf dieser Webseite möchten wir die Bilder für sich sprechen lassen. Namen sind eingefügt. Besonders bei den Arten, wo Hong de Yuan neue Zuteilungen macht, oder hier und dort als Hybride bezeichnet, was laut Verkäufer als Art galt, ist es möglich, das die gleiche Pflanze je nach Forschungsstand unterschiedlich benannt wird. So finden Sie auch hier oft mehrere Namen.
Während der Päonienblütenzeit im Mai laden wir jeweils Interessierte zu einer Verkaufsausstellung von Japanischen Tuschbildern im Haus, mehrheitlich Bildrollen von Katharina Shepherd ein. www.tuschmalerei.ch
MAGIE PÄONIEN
(Vorweg: Die deutsche Bezeichnung ist Stauden- und Strauchpfingstrosen. Die lateinische Bezeichnung beider Gattungen paeonia).
Wozu dieses Webportal?
Von Beruf bin ich keine Gärtnerin, auch keine Spezialistin über Stauden- oder Strauchpfingstrosen. Zudem verkaufe ich keine Pflanzen.
Diese Webseite dient ganz einfach der Freude. Jährlich sind für mich all die Blumen und Pflanzen in der Natur und in unseren Gärten eine immense Freude und Quelle des Staunens und Glücks. Glück und Staunen wachsen bekanntlich, wenn man sie teilen und weitergeben kann und auch das möchte unser Paeoniengarten.
Weshalb Pfingstrosen bzw. Päonien pflanzen?
Vorerst die Antwort von Carsten Burkhardt, dem grossen Päonienspezialisten in Deutschland:
«Weil die Schnecken sie nicht fressen, die Wühlmäuse sie nicht anknabbern und sie andere schöne Eigenschaften haben inklusive der sonst so schönen Pflegeleichtigkeit und Langlebigkeit. Weil sie duften. (Natürlich längst nicht alle Sorten).
Beachten Sie beim Kauf von Pfingstrosen bitte, dass diese Pflanzen sehr langlebig sind, aber auch keine Schnellstarter. Sie sind eher Pflanzen für den <Geduldigen Faulen>, um Karl Försters Urteil über Hemerocallis <Für den intelligenten Faulen> etwas abzuwandeln, vielleicht noch mit dem Zusatz Genießer wegen des berauschenden Duftes. Im ersten Jahr kämpft die Pflanze um's Überleben, im 2. Jahr setzt sie sich langsam durch, und im 3. Jahr setzt sie zum Sprung an - ab dann haben sie lange Zeit Freude mit ihr. Wer's schneller braucht, sollte Fleissige Lieschen (Impatiens) kaufen.»
Kurze Blütezeit
Es gibt viele phantastische Langzeitblüher, die uns während dem ganzen Sommer beglücken, wie zum Beispiel Rosen. Weshalb nun ausgerechnet Päonien, Pflanzen, die vom ersten Aufblühen bis zum Welken nur ein bis zwei Wochen pro Jahr ihr ganzes Blütenfest hervorzaubern und verschleudern? Natürlich kann man sagen, es gebe frühe und späte Sorten, einige Wildformen und Strauchpäonien öffnen oft schon Mitte April ihre ersten Blüten während die spätesten Stauden bis Mitte Juni oder später noch Blüten hervorbringen. Meine unglaubliche Begeisterung und Passion liegt anderswo: Gerade weil ihr Blühen so kurz ist, sind sie so unglaublich! Sie machen die Blütenzeit zum Fest, das Aufblühen zur Sensation. Mann eilt hinaus in den Garten, denn, was ich heute nicht sehe, ist morgen vorbei. Seit meinem 20. Lebensjahr übe ich Zazen. All meinen Lehrern und Lehrerinnen verdanke ich viel. Zu diesen Lehrern gehören z. B. auch unsere vier (jetzt erwachsenen) Kinder und viele Pflanzen, besonders die Päonien. Sie lehren mich die Präsenz im Augenblick «Carpe diem». «Nutze den Tag» sagt der Lateiner, nutze den Moment, jeder Zenlehrer, sei gegenwärtig im Jetzt. Wenn ich an die ganze unermesslich lange Evolution des Lebens auf unserem Planeten denke, so stelle ich mir immer wieder den Tag vor, wo zum allerersten Mal die erste Blüte aufblühte. Kein menschliches Auge war da sie zu sehen; doch da war stilles, pures Glück. Ich denke, es ist der Geburtstag der Freude. Sicher wird nun der Biologe sagen, dass jene erste Blüte so winzig klein war, dass kein menschliches Auge sie hätte sehen können, dass erst viel viel später allmählich farbige Blütenblätter und Insekten kamen ..
Also denke ich an die Rose des kleinen Prinzen, die so einmalig ist, weil er so viel Zeit und Hingabe für sie verwendet hatte. «Adieu» sagte der Fuchs. «Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» «Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar», wiederholte der kleine Prinz um es sich zu merken. «Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, macht deine Rose so wichtig ...Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen,» sagte der Fuchs, ...
Also möglicherweise ist die unbeschreibliche Faszination, diese Magie der Päonien eher eine Herzensangelegenheit.
Zurück zur kurzen Blütezeit: Ich hatte das Privileg, während zehn Jahren in Japan zu leben. Die Sensibilität und Freude, das Feiern und Beobachten der Blumen und ihrer Zyklen, die im Jahresverlauf scheinbar die gesamte Bevölkerung mitfeiert, beeindruckten mich riesig. Kirschblüten sind so beliebt und werden gefeiert, weil sie so kurz blühen! Es gibt im ganzen Land viele Tausende von Zierkirschbäumen. Sie blühen während einer Woche, meistens Anfangs April. Das ganze Volk ist auf den Beinen um in Park- und Tempelanlagen, an Flussufern und in Wäldern diese einmalige Pracht zu sehen. Man sinniert über die Kürze des Lebens, und dass wir bald schon am anderen Ufer im Jenseits sind. Darüber ist man nicht traurig, vielmehr feiert, geniesst und trinkt man oft mit ausgelassenen Trinkgelagen bis zum Umfallen. Im Frühling 2014 unternahmen wir mit einer Gruppe von 18 Personen eine dreiwöchige Japanreise zur Kirschblütenzeit. Wir hatten ausserordentliches Glück, kamen zum besten Zeitpunkt für die Kirschblüten an und auch das Wetter war fast immer gut. Ein Tag vor der Abreise sagte eine Teilnehmerin, sie hätte zum ersten Mal so richtig erfahren was Vergänglichkeit sei. Diese atemberauschenden Kirschblütenwolken waren so unglaublich, doch zehn Tage später war der Zauber völlig vorbei. Wären wir eine Woche später angekommen, hätten wir das verpasst. Päonien, besonders die verholzenden Strauch - oder Baumpäonien kommen ursprünglich mehrheitlich aus China. Auch in Japan gibt es Päoniengärten. In Tempelanlagen wachsen oft Päonien. Doch da der Boden allgemein eher sauer ist, gedeihen Päonien hier im Westen leichter als im japanischen Privatgarten. Blumen werden in Japan sehr bewundert, verehrt und immer wieder gemalt. Strauchpäonien gelten in China als «Kaiserliche Blume», sind Sinnbild für Glück, Wohlstand, Vollendung. In Japan hat eher die Chrysantheme diesen Platz und ist im Wappen des japanischen Kaisers.
Päonienblüten in Japan im Winter und im Schnee
Eigentlich kann ich kaum sagen, weshalb gerade Päonien diese Magie auf mich ausüben. Meine ersten Begegnungen waren Päonienausstellungen im Winter in Japan, im Hachimannschrein in Kamakura, als im Januar unter Strohhüten und gelegentlich mit Schneekappen unglaubliche Paeonienblüten zu bestaunen waren.
Es erinnerte mich ans Weihnachtslied von Ernst von Wildenbruch:
Christkind kam in den Winterwald,
der Schnee war weiß, der Schnee war kalt.
Doch als das heil'ge Kind erschien,
fing's an, im Winterwald zu blühn.
Erst Jahre später fand ich heraus, dass all jene Pflanzen künstlich in Treibhäusern für die Winterausstellung mit entsprechenden Wärme- und Lichtverhältnissen vorgezüchtet wurden und da sie auch frostige Temperaturen ertragen, werden sie für die Ausstellung in Töpfen temporär und gekonnt platziert.
Zur Geburt unseres ersten Kindes am Pfingstsonntag brachte meine Tuschmallehrerin ein Päonienbild ins Spital. So wurde die Päonie für mich wie ein Symbol für dieses unfassbare Geheimnis und Wunder, unser erstes Kind zu empfangen.
Päonien im Verlauf des Jahres
Aber dauert das Staunen und die Freude an den Päonien tatsächlich so kurz?
Bei weitem nicht!
Wenn im Spätherbst alles zur Neige kommt, wenn die Tage kurz und neblig sind und die ganze Natur auf Rückzug und Ruhe umstellt, dann sind sie schon da, die ersten prallgefüllten Knospen, die ihre Augen getrieben haben und überall schon ein neues Kommen, einen wiederkehrenden Frühling verheissen! Manchmal im Winter, wenn ich die Blumen vermisse, gehe ich zu den Päonien. Ihre Knospen machen sichtbar, was sich meist im Verborgenen unter der Erde vorbereitet. Früh im März beginnt der Blattaustrieb. Diese Vielfalt! Es ist unglaublich. Besonders die Wildformen der Staudenpäonien zeigen, was Farben- und Formen betrifft, sehr besondere Austriebe.
Das Heranwachsen der Knospen bei den Stauden direkt aus der Erde, und aus den holzigen Zweigen bei den Sträuchern, geschieht Jahr für Jahr in unglaublich rasantem Tempo. All die unterschiedlichen Laubformen und Farben allein sind fantastisch. Noch blühen Hamamelis und Chimonanthus und schon bestaunt man all die Knollenblüher, Zyklamen, Krokusse, Schneeglöcklein, Wildtulpen… dann Primeln, Löwenzahn überall, Kirsch- und andere Obstblüten und kurz darauf eröffnen die ersten Wildformen von Staudenpäonien wie Mlokoswitschii und Tenuifolia den Paeonienreigen. Eine intensive und anstrengende Zeit beginnt. Staunen, Staunen, Schauen und wieder Schauen. Die Entwicklungen gehen schnell. Bald schon zeichnen sich die ersten Samenstände ab.
Wenn das Blütenkleid schrumpelig wird, die Staubbeutel zusammenfallen, die seidenen Blütenpetalen nicht mehr so fest am Blütenkelch verankert sind, und plötzlich tanzend davonfliegen, dann entfaltet der Blütenstand sein Krönchen. Kaiserlich und majestätisch steht diese Krone da. Wenn wir die Samen ausreifen lassen, ist auch dieser ganze Prozess ein Gedicht für sich. Später dann beginnen die Laubverfärbungen.. Natürlich zieren im späteren Sommer viele Begleitpflanzen unsere Gärten…
Pflege
Päonien sind eine geeignete Pflanze für jeden Gärtner. Wie C. Burkhardt auch sagt, Schnecken fressen sie nicht und auch sonst sind sie erstaunlich pflegeleicht. Ein guter Boden mit Drainage ist von Vorteil. Das Zurückschneiden im Herbst ist wichtig, um reichlich Blüten und gute Strauchformen zu bekommen. Paeoniengrauschimmel Botrytis paeoniae Oud. kann eine grössere Herausforderung werden und sollte kontrolliert sein.
VERZEICHNIS DER BAUM – UND STAUDENPÄONIEN IN SIGRISWIL
Mit dem Pflanzjahr in Sigriswil (links) und * für Arten (Wildformen), bzw. dem Zuchtjahr und wo bekannt auch dem Namen des Züchters von Hybriden:
BAUMPÄONIEN:
1998 Hesperus (Kelway)
1998 Shichifukujin (Japan 1896, «Sieben Glücksgötter»)
1998 Hana Daijin (Japan, 1910 «Blumen Ministerin»)
1998 Paeonia delavayi (rot)*
1998 Renkaku (Japan. 1893, «Flug der Kraniche»)
2003 Hana Kisoi (Japan, vor 1910 «Wettbewerb der Blumen»)
2003 Shintenchi (Japan 1940 «Auf Erden wie im Himmel»)
2003 Taiyo (Japan, Niigata vor 1931«Aufgehende Sonn»)
2003 High Noon (Saunders 1952) APS Gold Medal 52)
2003 Black Pirate (Saunders 1948)
2003 Ten`i (Japan, «Himmelskleid»)
2003 Reine Elisabeth (Casaretto, Italy vor 1846?)
2003 Rocks Variety U. K. (Herkunft aus Samen, die Joseph Rock in China sammelte)
2003 Age of Gold (Saunders 1948)
2003 Chinese Dragon (Saunders 1948)
2003 Souvenir de Maxime Cornu (Louis Henry 1907) Lutea Hybride
2003 Comtesse de Tuder (Corn. 1856-1866)
2003 Hakuoh Jishi (Japan. 1910,«Weisser Löwenkönig»)
2003 Helene Martin (Jean Cayeux, 1980)
2003 Regent (Lutea Hybride 1945)
2008 Spring Carnival (Saunders 1944)
2008 Kikubotan (Japan vor 1919, «Chrysanthemenpäonie»)
2009 P. ostii*
2010 Paeonia pontanini alba *(P. delavayi)
2010 Paeonia decomposita*
2010 Paeonia pontanini trollioides* (P. delavayi)
2010 Paeonia rockii sups. lynjanshanii*
2011 Rock`s U. S. (Herkunft aus Samen, die Joseph Rock in China sammelte)*
2011 Haku Banryu (Japan vor 1940 «Zehntausend weisse Drachen»)
2011 Tria (Daphnis 1948, Lutea Hybride)
2011 Blanche du Bollwerk (Rivière)
2012 P. lutea * (P. delavayi var. lutea)
2012 P. rockii (Urform aus Natur, China)*
2014 Paeonia qiui ex. West Hubei, Shengnongjia*
2014 P. jishanensis (syn. P. spontanea) ex. China*
2014 P. decomposita susp. rotundiloba*
2014 P. delavayi yellow queen*
2014 Suf. Mikunino Akebono (Japan, «Morgenröte Japans»)
2014 P. delavayi var. lutea*
2014 P. pontanini* (P. delavayi)
2014 P. pontanini var. trollioides* (P. delavayi)
2014 Dou Lu (China, Grüne Erbse)
2014 Hesperus (Saunders 1948-1950)
2014 Thunderbolt (Saunders 1948)
2015 Shimane Hakugan (Japan, «Weisse Kraniche von Shimane»)
2015 Kokuryu Nishiki, (Japan, «Schwarzer, brokatener Drache»)
2015 Bing hu xan yu (China)
2015 Center Stage (Reath 2000, einzige weisse Lutea Hybride!)
2015 Waucedah Princess (Reath 1988)
2016 Yoyo no Homare (Japan, «Lobpreis in allen Zeitaltern»)
2016 Ouragan (M. Rivière 2013)
2016 Mme Andre Excoffon (A. Rivière)
2016 Zhao Fen (China)
2016 Baume de Provence (Rivière 2013)
2016 Haru no Akebono (Japan, «Sonnenaufgang im Frühling»)
2017 La Tenebreuse (Rivière 2017)
2022 P. rotundiloba (decomposita)*
STAUDENPÄONIEN:
1998 P. veitchii var. woodwardii (P. anomala ssp. veitchii )*
1998 P. mlokosewitschii (Paeonia daurica subsp. mlokosewitschii) *
1998 Mai Fleuri (Lemoine, 1905)
2003 Bowl of Beauty (Hoogendoorn, 1949)
3003 Peregrina 'Otto Froebel' (Barr, 1898)
2008 P. tenuifolia plena*
2008 P. tenuifolia*
2009 White Innocence (Saunders 1947)
2009 Do Tell (Auten, 1946)
2009 Coral Fay (Fay 1972)
2010 P. emodi*
2010 P. wittmanniana *(P. daurica susp. wittmanniana)
2010 Lavender (Saunders, 1939)
2011 P. mascula var. arietina (Türkei)*
2011 Early Windflower (Saunders, 1939)
2011 P. peregrina*
2011 Pink Charlice (Saunders)
2011 Mme Benoit Rivière (Rivière, 1911)
2011 P. hybrida (P. tenuifolia)*
2012 P. mollis (Rivière*)
2013 P. broteri*
2013 P. humilis villosa (P. officinalis ssp. huthii)*
2013 P. daurica*
2013 P. wittmanniana (P. obovata susp. willmottiae)*
2013 Lobata China Rose, Variété de lobata (P. officinalis var. lobata)
2013 Mutabilis Plena (Variété Officinalis)
2013 Rosea Plena (P. officinalis)
2013 Lobata Sunshine (Syn. Peregrina 'Otto Froebel' Barr, 1898), (P. officinalis var. lobata)
2013 Arietina n`Glory (P. mascula subsp. arietina)
2013 Elise Renault (Doriat, 1927)
2014 P. anomala*
2014 P. daurica coll. Sivas*
2014 P. daurica coll. Kartli*
2014 P. lactiflora ex China*
2014 P. mairei (110) ex China. Prov. Guizhou*
2014 P. mascula q 12b 10*156 Teilstücke*
2014 P. mascula (b8k9)*258 coll. Palendoken, Ost Türkei*
2014 P. obovata ssp. willmottiae (Weiss)*
2014 P. officinalis subsp. officinalis Rumänien*
2014 P. officinalis ssp. banatica Italien, Istrien Monte Lanaro*
2014 P. officinalis coll. Rivière*
2014 P. anomala*
2014 P. mlokosewitschii creme (Paeonia daurica subsp. mlokosewitschii)*
2014 Buckeye Belle (Mains 1956)
2014 Many Happy Returns (Hollingsworth,1986)
2014 Green Lotus (Roy G. Klehm) July 15, 1999)
2014 Cheddar Cheese (Roy G. Klehm 1973)
2014 Golly (Krekler 1965)
2014 Margarethe Klose, Lac. (Klose 1972)
2014 Moonstone (Murasaki, 1943)
2014 Top Brass (Klehm, USA, 1968)
2014 Alice Harding (Lemoine, 1922)
2014 Claire de Lune (White/Wild & Son 1954)
2014 Do Tell (Auten, 1946)
2014 Favorita (Auten, 1956)
2014 Krinkled White (Brand, 1928)
2014 Paula Fay (Orville/W. Fay 1968)
2014 Rigolotte (Doriat, 1930)
2014 Mrs F. D. Roosevelt (Franklin, 1932)
2014 Doris Cooper (Cooper, 1946)
2014 Elsa Sass (H. P. Sass, 1930)
2014 Seashell (Sass, 1937)
2014 Pink Havaiian Coral (Roy Klehm, 1981)
2014 Coral Sunset (Wissing 1965)
2014 Aztec (Nichollis, 1941)
2014 Alexander Dumas (Guérin 1869)
2015 Goldi Locks (Ben Gilbertson 1975)
2015 Martha Bulloch (Brand 1907)
2015 Edulis Superba (Lemon 1824)
2015 Angel Cheeks (Klehm vor 1975)
2015 Bric a Brac (W. Krekler/Roy G. Klehm 2002)
2015 Vivid Rose (Klehm 1952)
2015 Chocolate Soldier (Auten 1935)
2015 White Cap (Winchell 1956)
2015 Nippon Beauty (Auten1927)
2015 Kathryn Fonteyn (Van der Valk 1952)
2015 Dr. Alexander Fleming (Lactiflora)
2015 Laura Dessert (Dessert 1913)
2015 Noemie Demay (Calot 1867)
2015 Vivid Rose Klehm 1952)
2015 Orange Glory (Auten 1956)
2015 Jeanne d`Arc (Calot 1958)
2015 Mr. Jules Elie (Crousse 1882)
2016 P. coriacea*
2016 Feu d`Artifice (Michel Rivière 1986)
2016 Starlight (Saunders 1949)
2016 Jeanne d`Arc (Calot 1958)
2016 Moonrise (Saunders 1949)
2016 Monsieur Charles Leveques (Calot 1861)
2016 Sarah Bernhardt (Lemoine1906)
2016 Myrtle Gentry (Brand 1925)
2016 Ville de Lion (Rivière 1924)
2016 Petite Renée (Dessert 1899)
2016 Ferrie (J. Cayeux 1990)
2019 Charles Burgess (Krekler 1963)
2019 Instituteur Doriat (Doriat 1925)
2019 Peter Brand (? 1937)
2019 P. bakeri*
2019 P. tenuifolia rosea*
2019 P. kavachensis*
2020 Athena (Saunders USA, 1949)
2020 BuTe (Wassenberg 1954)
2020 Gay Paree (Auten 1933)
2020 Kakaoden (Japanese Lactiflora)
2020 Lemon Chiffon(David Reath 1981)
2021 P. brownii*
2021 P. tenuifolia “Weisse Perle”*
2021 Ursa Minor (Roy G. Klehm 2000)
2021 Salmon Dream (David Reath 1979)
2021 Lavender (Saunders 1939)
2022 P. mascula arietina*
2022 Coral n‘ gold (Cousins/Klehm, USA1981)
ITOH HYBRIDEN: (KREUZUNG ZWISCHEN BAUM- UND STAUDENPÄONIEN)
2013 Kaleidoscope (Roger F. Anderson)
2013 Yellow Heaven (Itoh/Smirnow1964)
3013 Julia Rose (Roger F. Anderson)
2014 Bartzella (Roger F. Anderson, 1986)
2014 Callies Memory (Roger F. Anderson 1999)
2014 Yellow Dream (Itoh/Smirnow1964)
2014 Morning Lilac (Roger F. Anderson 1999)
Wie Reginald Farrer 1914 zum ersten Mal die langgesuchte Päonie entdeckte
(ungekürzter Bericht)
Text aus: Jane Fearnley–Whittingstall, Päonien, die kaiserliche Blume, Ellert und Richter 2000
«Reginald Farrer (1880-1920) aus Ingleborough, Yorkshire, war ein passionierter Alpinen-Gärtner und schrieb das zweibändige Standardwerk <Der Englische Steingarten>. Nach ersten Expeditionen in die Alpen folgte die Reise mit Purdom. Nach dem ersten Weltkrieg starb er vierzigjährig auf einer Entdeckungsfahrt mit E. H. M. Cox an der Grenze zwischen Burma und China.
Farrer beschreibt in seinem Buch Auf dem Dach der Welt, wie er 1914 zum ersten Mal die langgesuchte Päonie erblickte. Sein Beitrag rückt dies Ereignis auf eine Ebene mit den größten Entdeckungen der Pflanzengeschichte, er vermittelt die kaum zu unterdrückende Aufregung, die unbändige Erwartung und den Jubel des Augenblicks:
Nach einer sehr langen Etappe erreichten wir unser Ziel in der Strasse der Glücklichen Söhne - Fu-er-Gai -, einem winzigen Ort, hübsch wie alle diese kleinen Bergdörfer. Dahinter verheissungsvoll zerklüftete Bergketten, während sich davor, auf der anderen Seite des Wildbaches eine lange Hügelreihe erhob, die mit niedrigem Gehölz bedeckt war, andeutungsvoll schimmerte und hier und da von zartrosa Birnbäumen oder Dipelta Sträuchern erhellt wurde. In der Abendstille überquerten wir den Bach und erstiegen den Wald auf verschiedenen Wegen. Mein Ziel war ein bestimmter rosablühender Birnbaum, den ich schliesslich nach Mühen durch das Gestrüpp erreichte; aufgehalten nur durch eine andere, neue Schönheit, einer wilde Rose, deren goldgelbe Blüten sich gerade auf bogigen Zweigen entfalteten. Ein Frauenschuh schaute tatsächlich aus dem Unterholz hervor, aber er war noch zu unentwickelt, um identifiziert zu werden; aber er besaß mehrere Knospen am Stiel und unterschied sich deshalb von denen, die ich später fand.
Ich setze mich schließlich, um auszuruhen, schaute die steilen Pfade abwärts auf das kleine Dorf zu meinen Füssen, so gemütlich und hübsch in dem Pappelhain, bis mein Blick auf einigen weißen Gegenständen etwas entfernt in den Hügeln hängenblieb. Für Blumen eindeutig zu gross, aber es musste auf jeden Fall untersucht werden, was diese weissen Wollbüschel oder Papierknäuel hier im wilden Unterholz zu suchen hatten, die hier und da über dem kleinen Gewusel von Berberitzen und anderem thronten. Wahrscheinlich hatten sie irgendeine religiöse Bedeutung. Man würde sehen.
Ich watete durch die flachen, schäumenden Gewässer des Gehölzes, und bald nahm mir die zunehmende Aufregung den Atem, denn je näher ich meinem Ziel kam, desto sicherer wurde ich, dass vor mir eine wilde Moutan-Päonie wuchs. Das allein muss schon begeistern, aber alle Gedanken an eine botanische Entdeckung verblassen beim Anblick dieser erstaunlichen Blume, der überwältigendsten Pracht unter allen Sträuchern. Hier im Unterholz wuchs sie empor, schlank und aufrecht, mit zwei oder drei unverzweigten Trieben, an deren Spitzen jeweils eine dieser enormen Blüten schwebte. In kühner Eleganz gefaltet und gewellt, von absolutem reinem Weiß und mit fiedrig ausstrahlenden, tief rotbraunen Flecken am Grund der Petalen, gekrönt durch die goldene Quaste im Herzen der Blume. Diese schneeweißen Schönheiten schwebten über dem dichten Dornengestrüpp, und ihr Atem strich süß wie Rosenduft durch die Dämmerung. Lange Zeit verharrte ich in Ehrfurcht und kehrte schließlich bei Sonnenuntergang voller Zufriedenheit zurück.»
Fasolin Sarah: Gartenreiseführer Schweiz, Callwey 2014
BE 24 Privatgarten Shepherd: Es gibt viele Zugänge in die Pflanzenwelt. Für Katharina Shepherd sind die Pflanzen in ihrem Garten Quelle der Inspiration und Motive für die Tuschmalerei, die sie während zehn Jahren in Japan erlernte. In der Nähe ihres Wohnortes in Kamakura hatten zwei Päoniengärten eine fast magische Anziehungskraft auf Katharina. So ist Ihr heutiger Garten hoch über dem Thunersee ein Päoniengarten mit über 80 verschiedenen Sorten. Bambusse, Orchideen und die japanische Zierkirsche erinnern ebenfalls an den Lebensabschnitt in Fernost. Auch der Gemüsegarten inspiriert für die Tuschmalerei: Lauch lässt sie blühen. Die Samenstände erfreuen und eignen sich zum Malen. Dass sie diese Pflanzen alle selber zur Blüte bringt und nicht irgendwo besorgt, hat einen einfachen Grund: «Wer Bambus malen will, muss selber zum Bambus werden», steht in alten Lehrbüchern.» Indem Katharina den ganzen Zyklus vom Keimen, Wachsen Blühen und Samen hervorbringen erleben und immer wieder staunen kann, wächst die Vertrautheit. Erst wenn sie eine Pflanze kennt, kann sie diese richtig erfassen und auf Papier bringen. Irgendwie sind die Pflanzen doch mehr als nur Motive.